ES-SIRNAU: In Sirnau gibt es keine Nahversorgung mehr, dennoch sind die Bewohner im Grunde sehr zufrieden


Quelle: Artikel vom 01.06.2017 © Eßlinger Zeitung
Von Melanie Braun

Das, was den meisten Bewohnern von Sirnau besonders gut gefällt, ist gewissermaßen auch das größte Handicap des Stadtteils: seine Größe. Oder besser: seine Kleinheit. Denn die nur rund 800 Einwohner reichen nicht aus, damit sich ein Lebensmittelladen heute hier noch halten kann. Deshalb gibt es so gut wie keine Nahversorgung mehr - auch auf schnelles Internet und eine bessere Busverbindung warten die Einwohner seit Jahren vergeblich.
Die Einkaufssituation war nicht immer so: "Sirnau war dörflich ausgerichtet und hatte eigentlich alles", erzählt Ursula Frantz, die Vorsitzende des Sirnauer Bürgerausschusses. Früher habe es einen Bäcker, einen Lebensmittelmarkt, einen Schuster und eine kleine Post gegeben. Doch die Mobilität der Menschen habe enorm zugenommen, damit habe sich auch das Einkaufsverhalten verändert: Die meisten würden mit dem Auto zum Einkaufen auf die grüne Wiese fahren, viele auch zu einem großen Lebensmittelmarkt in Zell. Das letzte Lädle im Ort, das vor 20 Jahren geschlossen worden sei, habe nur noch als Notnagel fungiert, wenn man etwas vergessen hatte, erzählt Frantz. Davon könne ein Nahversorger natürlich nicht leben.
Das einzige Angebot derzeit seien zwei Lieferwagen, die den Ort abfahren, um ihre Produkte zu verkaufen, so Frantz: Ein Bäckerwagen und in den Sommermonaten auch ein Bauer, der Gemüse anbiete. Zeljko Delibasic, Inhaber der Bäckerei Heumaden und des Bäckerautos, erzählt allerdings, dass er nicht viel Zeit in Sirnau verbringen könne. Er habe viele große Firmen als Kunden, auf deren Höfen er mit seinem Bäckerwagen halte. In Sirnau bediene er hingegen lediglich zwei Mal pro Woche rund 15 ältere Leute. "Ich fahre direkt zu ihnen, weil sie nicht mehr aus dem Haus rauskönnen", erzählt er.

Kaum Hoffnung auf Nahversorger

Viel Hoffnung, wieder Nahversorgung in ihrem Stadtteil etablieren zu können, machen sich die Sirnauer nicht. "Aber wir haben einen großen Wunschtraum", sagt Ursula Frantz. Und zwar würde man gerne für ein paar Stunden in der Woche einen kleinen Mini-Markt im Ortskern etablieren. Neben dem Bäcker- und dem Gemüsewagen könne man vielleicht noch einen Metzger und einen Eier- und Milchhändler motivieren, einen Stand aufzustellen, erklärt die Bürgerausschuss-Vorsitzende die Idee.
Iris Hartmann, die Leiterin des evangelischen Kindergartens im Ort, ist begeistert von der Vision. "Es wäre klasse, wenn wir zusammen mit den Kindern irgendwo vor Ort einkaufen könnten", sagt sie. Schließlich liege ein Schwerpunkt des pädagogischen Konzepts in der Einrichtung auf dem Thema Ernährung, aber es gebe kaum eine Möglichkeit für die Kinder, das Einkaufen und den Umgang mit Geld zu lernen. Zudem gingen ihre Mütter meist ohne sie auf dem Weg von der Arbeit zum Kindergarten einkaufen, bevor sie ihre Kleinen abholten. Ob ein solcher Mini-Markt überhaupt realistisch ist, weiß man allerdings nicht: "Wir haben noch keine konkreten Gespräche geführt", sagt Ursula Frantz.
Allerdings hält die mangelnde Nahversorgung die Sirnauer nicht davon ab, ihren Stadtteil in den höchsten Tönen zu loben. Man lebe wie auf einer ruhigen Insel ohne Durchgangsverkehr und könne die Kinder daher einfach springen lassen, schwärmen viele Bürger. Man habe viel Grün und viele Gärten, kenne sich und pflege eine gute Gemeinschaft. Und trotz der geringen Einwohnerzahl könne man eine beachtliche Zahl an Vereinen sowie elf Gaststätten aufweisen: "Wir haben eine gute Lebensqualität in Sirnau", fasst Frantz zusammen.

Langsames Internet ist Manko

Dennoch gibt es einige Dinge, die man aus Sicht der Sirnauer verbessern könnte. So weist Karl Langpeter etwa auf das langsame Internet hin: "Wir sind so nah am Industriegebiet, das gut ausgestattet ist, da müsste sich doch was machen lassen", findet er. Für Daniela Kirchner, die stellvertretende Vorsitzende des Bürgerausschusses, ist die mangelnde Beleuchtung an den Verbindungswegen zur Neckarinsel und damit zur Innenstadt ein Manko: "Im Winter ist es bei der Eissporthalle stockduster", sagt sie. Das halte viele davon ab, zu Fuß in die Stadt zu gehen oder das Rad zu nehmen.
An den Fluglärm haben sich die meisten offenbar gewöhnt. Mit Sorge sehen sie hingegen, dass sie wohl die Räume der evangelischen Kirche aufgeben müssen, weil die Kirchengemeinde sie nicht mehr unterhalten will und dem Stadtteil dafür das Geld fehlt.

 ev. Kirche, Foto: Thomas Krytzner

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